LU04c: Modellierung von Geschäftsprozessen mit ARIS

Lernziele

  • Sie kennen das Akronym ARIS.
  • Sie können die Zielsetzung von ARIS erläutern.
  • Sie können die verschiedenen ARIS-Sichten nennen und erklären.
  • Den Nutzen des ARIS-Modelles nennen können.

Die Architektur integrierter Informationssysteme (ARIS) wurde entwickelt, um die Komplexität des betrieblichen Geschehens systematisch erfassen und gestalten zu können. ARIS um-fasst die Daten-, Funktions-, Organisations-, Steuerungs- und Leistungssicht. Ferner werden eine Fachkonzept-, DV-Konzept- und Implementierungsebene unterschieden.

Ausgehend von der Bedeutung der Informationstechnik bei der Gestaltung von Unternehmen hat Scheer in den 1980er Jahren die Notwendigkeit für einen einheitlichen Bezugsrahmen zur Unternehmensgestaltung erkannt, der sowohl betriebswirtschaftliche als auch informationstechnische Aspekte umfasst.

Um der Komplexität des Gegenstandes gerecht zu werden, unterscheidet die ARIS unterschiedliche Beschreibungssichten und -ebenen (Abbildung 1). Während die Beschreibungssichten unterschiedliche inhaltliche Aspekte von Unternehmen erfassen, spiegeln die Beschreibungsebenen in Anlehnung an die typischen Phasen des Software-Engineering eine unterschiedliche Nähe der Beschreibung zur Informationstechnik wieder.

Die ARIS unterscheidet ursprünglich eine Daten-, Funktions-, Organisation- und Steuerungssicht, die in späteren Publikationen um eine Leistungssicht erweitert wurde:

Diese Sicht umfasst alle betriebswirtschaftlich relevanten Informationsobjekte und deren Beziehungen untereinander, das heißt alle Daten, die im Zusammenhang mit den Aktivitäten eines Unternehmens stehen. Informationsobjekte umfassen sowohl Zustände wie Artikel- oder Kundenstatus als auch Ereignisse wie „Kundenauftrag ist eingetroffen“ oder „Fertigungsauftrag wurde ausgelöst“. Die gängige Darstellungsform für die Abbildung dieser Informationsobjekte und ihrer Beziehungen ist das Entity-Relationship-Modell (ERM) oder semantische Datenmodell. ERM ermöglicht die Visualisierung der Datenstrukturen innerhalb eines Unternehmens durch die Darstellung von Entitäten (Informationsobjekte), ihren Attributen (Eigenschaften der Informationsobjekte) und den Beziehungen zwischen diesen Entitäten. Dieses Modell hilft, die logische Struktur der Datenbank eines Informationssystems zu entwerfen und zu verstehen, indem es die Art und Weise, wie Daten untereinander in Beziehung stehen, klar definiert. Durch die Verwendung von ER-Diagrammen können komplexe Datenstrukturen übersichtlich und verständlich dargestellt werden, was die Grundlage für die Datenmodellierung und den Datenbankentwurf bildet.

Diese Sicht beschreibt alle betriebswirtschaftlich relevanten Tätigkeiten (Funktionen), ihre inhaltliche Beschreibung sowie ihre hierarchischen Beziehungen untereinander. Untergeordnete Funktionen sind als Teilfunktionen der übergeordneten Funktion zu interpretieren. Die gängige Darstellungsform für die Abbildung dieser funktionalen Struktur und Beziehungen ist das Funktionsdekompositionsdiagramm oder Funktionsbaum. Funktionsdekompositionsdiagramme visualisieren, wie eine Hauptfunktion in untergeordnete, spezifischere Funktionen zerlegt wird. Diese hierarchische Strukturierung hilft, die Komplexität von Geschäftsprozessen zu reduzieren und eine klare Übersicht über die verschiedenen Aufgabenbereiche innerhalb eines Unternehmens zu erhalten. Durch die Darstellung der Funktionen in einem Baumdiagramm wird deutlich, wie die einzelnen Aufgaben miteinander verbunden sind und wie sie zur Erfüllung der übergeordneten Unternehmensziele beitragen. Funktionsdekompositionsdiagramme sind somit ein wesentliches Werkzeug für die Planung, Analyse und Optimierung von Geschäftsprozessen.

Innerhalb dieser Sicht werden alle Organisationseinheiten, das heißt personelle und materielle Ressourcen, eines Unternehmens und deren Beziehungen untereinander modelliert. Die gängige Darstellungsform für die Abbildung dieser Strukturen und Beziehungen ist das Organigramm. Organigramme bieten eine visuelle Repräsentation der hierarchischen Struktur eines Unternehmens, indem sie die verschiedenen Organisationseinheiten sowie deren Verantwortlichkeiten und Unterordnungsverhältnisse aufzeigen. Sie ermöglichen es, auf einen Blick zu erkennen, wie das Unternehmen organisiert ist, welche Abteilungen oder Teams existieren und wie diese miteinander verbunden sind. Organigramme sind ein essentielles Werkzeug für das Verständnis der organisatorischen Aufbaustruktur und unterstützen die Planung und Optimierung von Prozessen, indem sie die Zuordnung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten innerhalb der Organisation verdeutlichen.

Diese Sicht stellt den zeitlich-sachlogischen Zusammenhang zwischen betrieblichen Aufgaben her. Damit nimmt die Steuerungssicht aufgrund ihres integrativen Charakters eine herausragende Stellung innerhalb ARIS ein und bildet Beziehungen zwischen den drei zuvor genannten Sichten ab. Die Steuerungssicht wird zuweilen von manchen Autoren auch Prozesssicht genannt, wobei diese Auffassung im Verhältnis zum ursprünglichen Verständnis von Scheer ein erheblich eingeschränktes Verständnis von Prozessen impliziert. Die gängige Darstellungsform für die Visualisierung der Prozesse und ihrer Wechselwirkungen in der Steuerungssicht ist die ereignisgesteuerte Prozesskette (EPK). EPKs ermöglichen es, Abläufe detailliert und nachvollziehbar zu modellieren, indem sie Ereignisse, Funktionen und die resultierenden neuen Ereignisse in einem logischen Fluss abbilden. Sie illustrieren, wie Prozesse durch Ereignisse ausgelöst werden und welche weiteren Aktionen oder Zustandsänderungen daraus resultieren. Durch die Verwendung von EPKs in der Steuerungssicht können Unternehmen komplexe Geschäftsprozesse effizient gestalten, analysieren und optimieren.

In dieser Sicht werden sämtliche materiellen und immateriellen Produkte beschrieben, die sowohl Ausgangspunkt als auch Ergebnis des betrieblichen Leistungsprozesses sein können. Die gängige Darstellungsform, um die verschiedenen Produkte und Dienstleistungen eines Unternehmens sowie ihre Beziehungen und Abhängigkeiten untereinander zu visualisieren, ist das Leistungsbaumdiagramm oder Produktbaumdiagramm. In einem Leistungsbaumdiagramm werden die Endprodukte, Zwischenprodukte und die benötigten Eingangsleistungen in einer hierarchischen Struktur dargestellt. Dies hilft dabei, die Komplexität von Produktstrukturen zu erfassen und zeigt auf, wie einzelne Leistungen im Gesamtzusammenhang des Unternehmens stehen. Zusätzlich können auch Wertkettenmodelle eingesetzt werden, um die Wertschöpfungsprozesse von der Rohstoffgewinnung bis zum Endkunden darzustellen und zu analysieren, wie jede Stufe des Prozesses zur Schaffung von Wert beiträgt.  

Orthogonal (senkrecht) zu der durch die Sichten vorgenommenen Unterteilung werden in Anlehnung an das Software Engineering drei Abstraktionsebenen differenziert. Diese als Fachkonzept, DV-Konzept und Implementierung bezeichneten Ebenen haben innerhalb der ARIS allerdings nicht primär die Bedeutung eines Vorgehensmodells, sondern verdeutlichen vielmehr die Nähe des modellierten Sachverhaltes zur Informationstechnik. Ausgangspunkt der Betrachtung ist immer eine betriebliche Problemstellung, die durch ein Anwendungssystem modelliert werden soll. Während auf fachkonzeptioneller Ebene ein klarer Schwerpunkt auf der betriebswirtschaftlichen Beschreibung eines Sachverhaltes liegt nimmt die Art der Darstellung über die DV-Konzept-Ebene bis hin zur Implementierung eine immer stärkere technische Perspektive ein.

Diese Ebene beschreibt die nur unzureichend formalisierten Sachverhalte der betrieblichen Problemstellung mit Hilfe einer konsistenten, formalisierten Sprache und ist somit eng an die Problemstellung gekoppelt. Auf dieser Abstraktionsstufe werden semantische Modelle wie semantische Datenmodelle (Datenmodellierung, Datensicht), Funktionsdekompositionsdiagramme (Funktionssicht), Organigramme (Organisationssicht), Vorgangsketten bzw. ereignisgesteuerte Prozessketten (EPK, Steuerungssicht) und Produktmodelle (Leistungssicht) eingesetzt. Der Zweck der fachkonzeptuellen Beschreibung ist eine intersubjektiv vergleichbare Darstellung der betrieblichen Problemstellung. Modelle des Fachkonzepts dürfen keine Sprachmittel der Informationstechnik verwenden oder bestimmte DV-Konzepte bevorzugen oder gar voraussetzen.

Diese Ebene spezifiziert, wie das Fachkonzept in Konzepte der Datenverarbeitungs-Technik umzusetzen sind. Auf der Abstraktionsstufe werden Datenbankmodelle (Datensicht), Struktogramme (Funktionssicht), Netztopologien (Organisationssicht) und Trigger-Mechanismen (Steuerungssicht) betrachtet. Der Zweck des DV-Konzepts ist eine Anpassung des Fachkonzepts an allgemeine Schnittstellen der Informationstechnik, sodass Gestaltungsalternativen und Umsetzungsfreiheitsgrade des DV-Konzepts keinen Einfluss auf die fachliche Modellierung besitzen.

Auf dieser Ebene wird das DV-Konzept in ein ausführbares Softwaresystem umgesetzt. Auf dieser Abstraktionsstufe werden Datenbeschreibungssprachen (Datensicht), Programme (Funktionssicht), Netzwerkprotokolle (Organisationssicht) und die Programmsteuerung (Steuerungssicht) betrachtet.

Für die Nutzung der ARIS werden am Markt leistungsfähige und ausgereifte Software-Werkzeuge angeboten. Zu den bekanntesten und weitverbreitetsten Produkten zählt hierbei die Software-Produkte der Software AG, zu denen neben den Kernmodulen ARIS Business Architekt und ARIS Designer eine Vielzahl weiterer Software-Komponenten zur Cloudbasierten Zusammenarbeit, zur Strategieentwicklung und zum Performance-Management gehören. Daneben existiert eine Reihe anderer Werkzeuge, die wesentliche Konzepte der ARIS softwaretechnisch unterstützen. Untersuchungen zur Verbreitung und Nutzung von Modellierungsansätzen in der Praxis zeigen, dass die ARIS bzw. die ARIS-Plattform eines der am meisten verbreiteten Konzepte und benutzten Werkzeuge im Prozessmanagement ist.

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  • Zuletzt geändert: 2024/03/28 14:07
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